Im Interview mit Focus.de lässt Wolfgang Grupp hinter seine Führungsphilosophie blicken und sorgt damit für Gänsehautfeeling.
Corona hat uns in die Homeoffice Knie gezwungen und dabei gezeigt, New Work ist nicht mehr so new, und wir sind endlich bereit für den nächsten Schritt in die neue Arbeitswelt. Wir können noch mehr Vertrauen schenken, noch selbstständiger arbeiten, noch mehr Kommunikation & Digitalisierung als wir uns selbst zugetraut hätten. Und genau daraus entsteht natürlich die Hoffnung, dass die Arbeitswelt X.0 vor der Tür stehen könnte. Eine noch weiter flexibilisiertere Welt, mit selbstbewussten Arbeitnehmern und toleranten Arbeitgebern.
Als ich Anfang dieser Woche das Focus.de Interview mit Wolfgang Grupp, dem Inhaber und Geschäftsführer des 1200 Mitarbeiter starken Unternehmens Trigema gelesen habe, haben sich mir allerdings die Nackenhaare aufgestellt. In seinem Unternehmen scheint sich nichts, aber auch gar nichts von der New Work Wolke abgelegt zu haben. Stattdessen setzt der Patriarch auf klassische Führungselemente, wie Kontrolle, feste Arbeitszeiten und Arbeit an erster Stelle.
DIE ARBEIT GEHÖRT AN ERSTE STELLE
Wären wir im Jahr 1969, wäre das auch in Ordnung. Heute allerdings, klingt das für mich wie ein bereits unterzeichnetes Todesurteil, oder zumindest, wie ein dahinsickernder Fluss, der vor der Austrocknung steht.
Da stellt sich mir die Frage: Wie zukunftsfähig sind eigentlich traditionelle, mittelständische Unternehmen – unsere Hidden Champions – die von der Industrialisierung profitiert haben, mehrere Millionen schwer sind und sich nun mit der neuen Arbeitswelt nicht auseinandersetzen wollen? Wohl oder übel aber coronabedingt vieles nun in Frage stellen müssen.
Was Grupp im Interview beschreibt, ist eine Arbeitswelt in der schon ich (und ich gehöre definitiv nicht zur jüngeren Arbeitergeneration dieser Tage) nicht mehr Lust hätte zu arbeiten. Er spricht von festen Arbeitszeiten, einem Geschäftsführer, der über ALLES informiert sein möchte und einer Sie-Ansprache, die es zu erhalten gilt.
Dabei spricht er sich deutlich gegen innovative Arbeitskonzepte, wie beispielsweise flexible Arbeitszeiten aus. Für Grupp würde dies das falsche Signal an die Mitarbeiter senden und das Privatleben zu stark in den Fokus rücken. Er erwarte schließlich, dass die Arbeit und Leistung der Mitarbeiter an erster Stelle stehen. WTF? Ja wir alle haben nur ein Leben, ja wir haben gerade ALLE zu spüren bekommen, wie wichtig unsere Gesundheit und Lebenszeit ist… gerade jetzt werde ich den Teufel tun und mein (man beachte!) Angestelltendasein ÜBER mein Leben und meine Familie stellen…Ja, Herr Grupp, unser Privatleben steht an erster Stelle und nein, das bedeutet nicht, dass unsere Arbeit Nebensache ist. Ganz im Gegenteil, heute ist es wichtiger denn je, dass wir sinnstiftende Arbeit verrichten, die sich mit unseren Werten und unserem Privatleben vereinbaren lässt, nicht weniger und nicht mehr.
Und freie Zeiteinteilung hieße ja, dass ich meinen Mitarbeitern suggeriere, dass das Privatleben an erster Stelle steht und die Arbeit Nebensache ist und somit die Leistung, die sie mir bringen nicht so wichtig ist. Nur ist Leistung eben das Entscheidende! Ich sage ja auch nicht, dass meine Hobbys an erster Stelle stehen.
Wolfgang Grupp – Focus.de
Und auch wenn die produzierenden Industrieunternehmen sich immer darauf beruhen, dass man ja Arbeitnehmern, die am Fließband arbeiten oder in der Produktion, dass man diesen Tätigkeiten einfach keine Freiräume einräumen kann, flexible Arbeitszeiten und Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf unmöglich ist, dann muss ich antworten: „Das wissen wir nicht, weil wir bisher nie versucht haben eine Lösung für dieses Dilemma zu finden.“
DIE UNTERNEHMENSKULTUR WIRD VON TRADIERTEN UNTERNEHMEN HÄUFIG UNTERSCHÄTZT
Aber was sagt das wirklich über die Unternehmenskultur des Unternehmens Trigema aus? Wie viel kann ich als potentieller Bewerber über die Arbeitsbedingungen, die mich dort erwarten, erfahren?
Grundsätzlich kann ich den Impuls, Leistung in den Vordergrund zu stellen, durchaus nachvollziehen. Jeder Unternehmer wünscht sich, dass der Firmenerfolg auch den Mitarbeitern am Herzen liegt. Sind wir aber mal ehrlich: von Mitarbeitern zu erwarten, dass sie sich wie Unternehmer verhalten, sogenannte Intraprenuere sind, ist sicherlich eine tolle Sache. Doch realistisch gesehen muss ich mir die Frage stellen: Was hätten meine Mitarbeiter selbst davon sich aufzuopfern, wie ich es als Unternehmerin tue?
Neben der Mehrarbeit, den verlorenen Nerven und verlorener Lebenszeit, warten auf Mitarbeiter nicht die selben Vorteile wie etwa auf Unternehmer – Hoher Wirkungskreis, maßgeblichen Einfluss haben, Wachstumspotential, finanzielle Unabhängigkeit – diese Vorteile ergeben sich leider nicht unbedingt auch für Angestellte. Wie kann ich also als Unternehmer erwarten, dass meine Mitarbeiter das Gleiche leisten, oder gar mehr, während ich ihnen die Vorzüge des Unternehmertums vorenthalte?
WISSEN IM UNTERNEHMEN MUSS DEZENTRALISIERT SEIN
Vielleicht ist das auch die Gruppsche Krux.
Er müsse wahrscheinlich nicht rund um die Uhr ansprechbar sein, so viel arbeiten und kontrollieren – würde er aus seinen Mitarbeitern Intrapreneure machen. Aber dazu gehört es eben auch, Vertrauen entgegenzubringen, Verantwortung abzugeben und wissen nicht zu zentralisieren.
Als Chef muss ich außerdem alles über mein Geschäft wissen: Würden Sie mit mir durch meine Firma gehen und mir eine Frage stellen, die ich Ihnen nicht beantworten könnte, dann müsste ich Ihnen die Firma schenken. Ich muss über alles informiert sein – nur dann kann ich reagieren, handeln und Entscheidungen treffen.
Wolfgang Grupp, Focus.de
Ein Geschäftsführer muss nicht alles über sein Geschäft wissen, wenn er seinen Mitarbeitern vertrauen kann, und diese das Unternehmen in naher Zukunft nicht verlassen.
Wissen war im übrigen in den 80ern Macht, als der Brockhaus noch die Wahrheit in Büchern gebunden hat. Heute ist dies nicht mehr der Fall. Auch wenn Bildung leider immer noch nicht allen Menschen dieser Welt zur Verfügung steht, so ist doch zumindest in unserem westlichen Leben Wissen größtenteils frei verfügbar und damit auch nicht relevant für den Unternehmenserfolg. Und Allwissen ist nicht relevant für den Führungserfolg, zumindest nicht mehr.
Sich dem Wandel zu verweigern ist heutzutage schier unmöglich. Denn die Macht ist mit denen, die akzeptieren, dass die Veränderung unveränderlich ist und verstehen, dass die einzige Konstante in Zukunft die Veränderung sein wird.
Jelena Klingenberg
ERFOLGREICHES EMPLOYER BRANDING UND MODERNE FEHLERKULTUR WIRD ZUM WETTBEWERBSVORTEIL
Ein erfolgreiches Employer Brand aufzubauen, ist zum Beispiel etwas, was mittelständische, vor allem alt eingesessene Unternehmen unbedingt tuen sollten, wenn sie nicht morgen ohne Mitarbeiter da stehen wollen.
Das Employer Branding der Trigema ist für mich leider weder sicht- noch spürbar. Ein paar klägliche Versuche im neu aufgesetzten, hippen Podcast. Sonst schimmert eher der patriarchische Führungsstil Wolfgang Grupps in allen Unterseiten, Karriereseiten und Unternehmensseiten der Website durch. Selten geht es dabei um den Mitarbeiter oder die Unternehmenskultur. Nun gut – hab ich auch nicht erwartet.
Ein bisschen Recherche und schon stößt man auf einem Arbeitgeberbewertungsportal wo rohe Meinungen der (Ex-) Mitarbeiter der Trigema ohne Blatt vor den Mund offeriert werden. Spannend was Mitarbeiter dort über die Unternehmenskultur berichten.
In der Kununu – Bewertung zeichnet sich ein ebenfalls polarisierendes Bild zur Unternehmenskultur ab. Der niedrige Durchschnittsscore lässt schon erahnen, wie es um das Arbeitsklima steht… eher schlecht, als recht. Es gibt nur 4 inhaltliche Bewertungen, davon sind zwei niederschmetternd.